Archiv der Kategorie: Rezensionen

Ken Follett – Sturz der Titanen

AutorKen Follett
TitelSturz der Titanen
OriginaltitelFall of Giants
ÜbersetzerDietmar Schmidt und Rainer Schumacher
SerieJahrhundert-Trilogie Band 1
Seitenzahl1022
VerlagBastei Lübbe
ISBN978-3-404-16660-2
Bewertung

Inhalt
Europa, Januar 1914: In vielen Ländern des Kontinents brodelt es, viele Menschen sind unzufrieden, Großbritanien und das Deutsche Reich liefern sich ein Wettrüsten und Russland und Österreich interessieren sich für den Balkan. Um eine bessere Einschätzung zu gewinnen, wie hoch die Chancen stehen, dass es bald zu einem Krieg kommen könnte, trifft sich König George V. auf Ty Gwyn, dem walisischen Landsitz der Familie Fitzherbert, mit einer Gruppe junger Männer aus verschiedenen Nationen, die intime Einblicke in die Regierungsgeschäfte ihres Landes besitzen.
Noch während der König sich in Wales aufhält, kommt es in den Kohlegruben der Fitzherberts zu einem Unglück, bei dem viele Männer sterben. Wie wird der König sich in dieser Situation verhalten? Und werden die Prognosenüber den Krieg zutreffen?

Meine Meinung
Ken Follett ist im Genre der historischen Romane für seine umfangreichen Erzählungen bekannt, und da ich sehr gerne lange in Geschichten eintauche, habe ich inzwischen auch schon ein paar Romane des Autors gelesen. Doch während mich unter anderem seine Kingsbridge-Bücher von der Handlungszeit her doch sehr ansprechen, ist mein Interesse am zwanzigsten Jahrhundert längst nicht ganz so groß. Und so hat der Auftakt von Folletts Jahrhundert-Trilogie mehrere Jahre darauf gewartet, von mir gelesen zu werden.
Schon nach wenigen Kapiteln zeigt sich, dass es sich hier um einen typischen Roman aus Folletts Feder handelt. Es gibt eine ganze Reihe von Hauptpersonen, die, je nach Handlungszeit und entsprechenden Ereignissen, mal mehr und mal weniger gleichmäßig betrachtet werden und über diverse Länder Europas sowie Amerika verteilt sind, aber irgendwie doch alle in Beziehung zueinander stehen. Sie alle vorzustellen nimmt im Buch recht viel Raum ein, dennoch ist man sofort mitten in der Geschichte drin, auch wenn das erste Kapitel, das drei Jahre vorher spielt, eher eine Art Prolog darstellt.
Dadurch, dass Menschen aus den verschiedenen Ländern betrachtet werden, erhält der Leser ein recht umfassendes, wenn auch vereinfachtes Bild über die Ursachen und den Ablauf des Ersten Weltkriegs. Nachdem ich das Buch beendet hatte, hatte ich das Gefühl, mehr aus diesen gut tausend Seiten gelernt zu haben als aus dem Geschichtsunterricht in der Schule. Egal ob Schlieffen-Plan, die jeweiligen Gründe für den Kriegseintritt der Länder, die den Krieg letzten Endes zum Weltkrieg gemacht haben, die Revolutionen in Russland und die dortige Entwicklung von der Monarchie zur Sowjetrepublik, um nur ein paar Beispiele zu nennen, wird hier leicht verständlich und zudem noch spannend vermittelt, daneben werden aber auch andere politische Themen wie das Wahlrecht in England angesprochen. Aber egal, worum es gerade geht, eine der Hauptpersonen steckt immer irgendwie mitten in den wichtigen Ereignissen drin, und auch wenn dies vielleicht doch etwas weit her geholt scheint, ist es mir nicht negativ aufgefallen.
Bei einigen vorherigen Romanen Folletts war die Einordnung der Charaktere in gut und böse recht starr, man wusste gleich mit dem ersten Auftritt, wie man sie einzuordnen hatte. Hier ist das nicht so extrem der Fall. Auch wenn mir manche Charaktere sympathischer waren als andere, so hat sich diese Einstellung erst nach und nach entwickelt. Der walisische Earl Fitz beispielsweise kam mir zu Beginn eigentlich recht nett vor, doch je weiter die Handlung fortschreitet, umso mehr bin ich von dieser anfänglichen Einstellung abgewichen. Ähnlich ging es mir auch bei anderen Charakteren, es gab eigentlich niemanden, dessen Handlungen mir immer gut und richtig vorkamen. Dabei handelt niemand grundlos böse oder grausam, die Handlungen sind immer durch die Umstände oder eigene Interessen begründet. Dennoch gibt es einige doch eher stereotype Charaktere wie den leichtlebigen Lew Peschkow oder die adlige Suffragette Maud. Bei der Fülle an Charakteren hat mich das aber nicht weiter gestört.
Der Schreibstil ist, wie von Follett gewohnt, schnörkellos und leicht verständlich, und auch die Übersetzung ist mir nicht negativ aufgefallen – bei Übersetzerteams nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit.
Für einen Roman mit einem solchen Umfang, der sich zudem mit der politischen Situation so vieler verschiedener Länder befasst, sind in meiner Ausgabe erstaunlich wenig Zusatzmaterialien enthalten. Einzig ein Personenregister zu Beginn erleichtert den Überblick, ein sehr kurzes Nachwort zum Thema historische und fiktive Charaktere dient hier als Ergänzung. Erwartet hätte ich aber auf jeden Fall noch mindestens eine Karte, vielleicht auch eher zwei, um die Orte der Kriegsschauplätze, der Märsche der Armeen und die Landesgrenzen vor oder nach dem Krieg besser nachvollziehen zu können.

Fazit

Ich weiß nicht, warum ich diesen Roman so lange vor mir her geschoben habe, denn der Roman ist spannend und lehrreich, und es gibt weit weniger starre Charaktere, als ich im Vorfeld vermutet hätte. Wer ein einfaches, umfassendes Bild über diese Zeit erhalten will, sollte einen Blick auf diesen Roman werfen. Der zweite Band der Reihe wird bestimmt nicht mehr lange ungelesen in meinem Regal stehen bleiben.

Ruben Laurin – Die Kathedrale des Lichts

AutorRuben Laurin
TitelDie Kathedrale des Lichts
Seitenzahl591
VerlagBastei Lübbe
ISBN978-3-404-17636-6
Bewertung

Inhalt
1227: Nach der Vollendung eines Auftrags in Maulbronn will der Baumeister Bohnsack mit seiner Tochter nach Magdeburg ziehen, um dort am Neubau der Kathedrale mitzuwirken, doch Helena ist von dieser Aussicht gar nicht begeistert.
Der Ritter Ansgar von Lund muss aus Prag fliehen, nachdem er in flagranti erwischt wurde. Unterwegs trifft er auf die wunderhübsche Tochter des Baumeisters.
Moritz besitzt ein großes Talent für die Bildhauerei, doch er ist ein Sklave und arbeitet im Steinbruch. Regelmäßig wiederkehrende Anfälle, während denen er Menschen in seiner Nähe angreift, lassen ihn viel Ablehnung erfahren. Als er auf eine Verurteilung nach einem solchen Anfall wartet, treffen Reisende auf der Burg ein…

Meine Meinung
Wenn es um Romane geht, in denen der Bau einer Kathedrale thematisiert wird, werde ich schon hellhörig. Wenn diese Romane dann auch noch von Autoren stammen, die mich bisher nicht enttäuscht haben, muss ich sie unbedingt lesen.
So auch hier, denn sobald ich erfahren hatte, dass sich hinter dem Pseudonym der Autor Thomas Ziebula verbirgt, dessen Romane über den Dreißigjährigen Krieg mir sehr gefallen haben, ist das Buch nach ganz oben auf der Prioritätenliste gewandert.
Den geschichtlichen Hintergrund des Romans bildet, wie schon erwähnt, der Neubau der Kathedrale zu Magdeburg sowie die Entstehung der bekanntesten Skulpturen, die dort zu finden sind, allen voran die der Skulptur des Heiligen Mauritius. Da über die Künstler jedoch nahezu nichts bekannt ist, hat der Autor hier große Freiheiten, seine eigene Geschichte um deren Entstehung zu spinnen.
Im Zentrum der Geschichte steht die schöne Helena, Tochter des Bauherren Bohnsack, von Vielen verehrt, aber noch unverheiratet, die nicht weiß, was und wen sie will und von ihrem Vater auch nicht gerade in die Ehe gedrängt wird.
Bewerber um ihre Hand sind unter anderem der Ritter Ansgar, der sich Aufgrund seiner früheren Liebschaften an vielen Orten Europas nicht mehr blicken lassen kann, der Bildhauer Gotthart, der ein dunkles Geheimnis in sich trägt, sowie der wendische Waisenjunge Moritz, ehemaliger Sklave und ebenfalls Bildhauer mit großem Talent, der den Mord an seinen Eltern rächen will.
Eine weitere wichtige Person ist Mechthild, eine junge, fromme Frau, die viel Zeit auf dem Baustellengelände verbringt, immer ins Gebet vertieft.
Der Autor nimmt sich sehr viel Zeit, etwa ein Drittel des gesamten Buches, die Vorgeschichte seiner Figuren zu erzählen. Man erfährt, was ihre Wünsche und Ängste sind, und so nach und nach führen die Wege Aller nach Magdeburg.
Ab hier jedoch wird die Zeit schon mal sehr gerafft, und je mehr sich der Roman dem Ende nähert, umso länger sind die Zeiten, die übersprungen werden. Hier ging es mir dann doch oft einfach zu schnell, und es passte vom Tempo einfach nicht zum Beginn der Geschichte. So sind die Charaktere zu Beginn noch recht gut ausgebaut, je weiter die Geschichte fortschreitet, umso stärker werden sie auf wenige Eigenschaften reduziert.
Auch gibt es einige Szenen, die mir etwas weit her geholt waren und von denen ich mir nicht vorstellen konnte, dass sie so hätten passieren können. So hatte ich beispielsweise meine Probleme damit, wenn Moritz innerhalb kurzer Zeit den Umgang mit Waffen erlernt und sich gestandenen Rittern gegenüber im Kampf behaupten kann, auch wenn er zuvor schon ein guter Faustkämpfer ist. Und auch der Umgang mit „Unzucht“, ein Thema, das hier, insbesondere gegen Ende, immer wieder vorkommt und dann auch näher erläutert wird, erschien mir nicht ganz schlüssig.
Gut dagegen fand ich, dass der Autor sich nicht davor scheut, selbst Hauptcharaktere recht früh ableben zu lassen. Zudem treffen einige der Figuren auch schon mal Entscheidungen, die sie im Nachhinein bereuen. So bleibt zumindest ein gewisser Teil an Spannung enthalten, während andere Entwicklungen schon recht früh zu erahnen sind.
Ein zweiter Handlungsstrang spielt im Jahr 285 und erklärt, wer denn der Heilige Mauritius eigentlich ist. Leider wird hier nur die Heiligenlegende nacherzählt, dabei aber auch im Nachwort außen vor gelassen, dass es sich eben nur um eine Legende handelt und dass es höchst unwahrscheinlich ist, dass sich das Beschriebene tatsächlich so abgespielt hat.
Der Erzählstil ist weitestgehend einfach gehalten und gut lesbar. Jedoch hat es mich schon sehr irritiert, dass der Handlungsstrang über Mauritius rückblickend erzählt wurde, mit dem Wissen von heute. Ich möchte eigentlich nicht im Romantext lesen, dass ein Fluss heute anders heißt als damals oder dass erst nachfolgende Generationen etwas mit einer Prophezeiung anfangen konnten. Doch auch in den Kapiteln der Haupthandlung fällt der Autor schon mal aus der Zeit.
Ergänzt wird der Roman durch ein Personenverzeichnis, eine Zeittafel, ein Glossar sowie ein Nachwort zum historischen Kontext und ist somit recht gut ausgestattet, auch wenn ich, wie schon erwähnt, mehr Informationen zu Mauritius erwartet hätte.

Fazit
Dieser Roman sollte ein Neuanfang werden, doch ist dieser in meinen Augen nicht ganz geglückt. Eine Fortsetzung des Stils der ersten historischen Romane Ziebulas hätte mir wohl eher zugesagt.

Elizabeth Chadwick – Das Herz der Königin

Autor Elizabeth Chadwick
Titel Das Herz der Königin
Originaltitel The Winter Crown
Übersetzer Nina Bader
Serie Alienor von Aquitanien Band 2
Seitenzahl 672
Verlag Blanvalet
ISBN 978-3-7341-0151-9
Bewertung

Inhalt
London, 1154: An der Seite ihres Mannes, Henry Plantagenet, wird Alienor, Herzogin von Aquitanien, zur Königin Englands gekrönt – ein Triumph für die ehemalige Königin Frankreichs. Sie hofft, ihrem Mann eine ebenbürtige Partnerin zu sein, ist sie doch dazu erzogen worden, selbst zu regieren. Sie will nicht nur Zuchtstute und Mutter der legitimen Kinder ihres Mannes sein.
Doch Henry hat andere Pläne. Schenkt er ihr zu Beginn ihrer Ehe noch sein Gehör, sind es insbesondere die Zeiten ihrer Schwangerschaften, in denen er ihr rationales Denken abspricht. Stattdessen schenkt er sein Vertrauen seinem Kanzler Thomas Becket. Alienor bezweifelt, dass dies eine weise Entscheidung ist…

Meine Meinung
Das Leben Alienors von Aquitanien ist so ausgefüllt von Ereignissen, dass man diese kaum in einem Buch zusammenfassen kann. Aus diesem Grund hat sich Elizabeth Chadwick dazu entschieden, drei Romane über diese großartige Frau zu schreiben. Das Herz der Königin ist der zweite Teil, der etwa zwanzig Jahre umfasst, vom Zeitpunkt ihrer Krönung zur Königin Englands im Jahr 1154 bis zu ihrer Haft in Sarum im Jahr 1174.
Die erste Hälfte des Romans wird stark dominiert von ihrer Rolle als Mutter, in die sie von Henry gedrängt wird, und ihrem Wunsch, mehr Einfluss in politische Entscheidungen zu haben. Diesen Abschnitt ihres Lebens fand ich, obwohl nicht langweilig erzählt, aufgrund ihrer oft erzwungenen Passivität längst nicht so spannend wie etwa die zweite Hälfte des Buches, in der es vorrangig darum geht, wie Alienor die Ansprüche ihrer Söhne unterstützt.
Dabei orientiert sich die Handlung sehr stark an dem, was heute noch über diese Zeit in Erfahrung zu bringen ist. Die Personen, allen voran natürlich Alienor und Henry, aber auch Thomas Becket, dessen Rolle hier sehr dominant betrachtet wird, und im späteren Verlauf die Prinzen, sind glaubwürdig beschrieben, niemand zeigt nur gute oder nur schlechte Seiten, und auch die Entwicklung der Charaktere ist sehr gut erkennbar und natürlich gestaltet. Allerdings bleiben im Kontrast dazu einzelne Nebencharaktere wie Alienors Töchter leider sehr blass und erhalten kaum eigene Persönlichkeit.
Alienor ist wie schon im ersten Band der Trilogie eine starke Frau, die weiß, was sie will. Dass sie hier von ihrem Mann oftmals nicht ernst genommen wird, frustriert sie doch sehr. Meistens war sie mir sehr sympathisch, konnte ich ihren Frust doch aus heutiger Sicht gut verstehen, in anderen Situationen musste ich mir jedoch gezielt bewusst machen, welche Rolle sie inne hatte und in welcher Zeit wir uns befinden, um ihre Entscheidungen nachvollziehen zu können.
Auch Henry ist eine faszinierende Gestalt, die in der Darstellung denen aus diversen anderen Romanen, die ich bisher gelesen habe, entspricht. Er legt wenig Wert auf Äußerlichkeiten und gibt ungern die Zügel aus der Hand, dazu ist er ein Frauenheld, der seiner Königin zu keinem Zeitpunkt treu ist. Auch seine Haltung ist in Anbetracht seiner Position und seiner Zeit verständlich.
Die politischen Ver- und Entwicklungen sind nicht immer leicht zu durchschauen, weshalb man mit einer gewissen Aufmerksamkeit lesen sollte, doch Informationen und Details über diese Zeit fließen wie beiläufig in den Text ein, so dass ich nie den Eindruck hatte, von ihnen erschlagen zu werden. Dem gegenüber steht ein etwas trockener, schnörkelloser Schreibstil, doch Elizabeth Chadwick war mir bisher nie als besonders emotionale Autorin aufgefallen, so dass dies nicht unbedingt negativ zu sehen ist. Zudem ist der Roman so gut lesbar und leicht verständlich.
Wie schon im Vorgängerroman wurden hier die Namen, wie sie die Autorin verwendet hat, beibehalten und nicht mit übersetzt. Dies hat den Vorteil, dass gezielt gewählte Spitznamen oder Abweichungen von der offiziellen Schreibweise wie beispielsweise Harry für den jungen König oder Jeoffrey für Henrys illegitimen Sohn das Lesen stark erleichtern, ohne einen Bruch darzustellen.
Ein Personenregister als solches ist nicht vorhanden, dafür kann man im Anhang drei Stammbäume finden, die einem die Zuordnung mancher Personen erleichtern. Zudem gibt es, wie von Chadwick gewohnt, ein recht ausführliches Nachwort, in dem noch einmal auf bestimmte Personen näher eingegangen wird.

Fazit
Ein guter zweiter Teil, der durch viele häusliche Szenen nicht ganz so spannend ist wie der erste Band, der aber trotzdem sehr lesenswert ist und viele Informationen über diese faszinierende Frau beinhaltet.

Mac P. Lorne – Der Herr der Bogenschützen

Autor Mac P. Lorne
Titel Der Herr der Bogenschützen
Seitenzahl 703
Verlag Knaur
ISBN 978-3-426-52082-6
Bewertung

Inhalt
England, 1400: Nach einem fehlgeschlagenen Versuch, König Henry Bollingbroke zu stürzen, wird John Holland, ehemaliger Duke of Exeter, als Verräter enthauptet. Seine Söhne, unter ihnen der sechsjährige John, werden von ihrer Mutter getrennt und nach Upholland gebracht, dem ehemaligen Stammsitz der Hollands, wo sie für ihren Lebensunterhalt niedere Arbeiten verrichten sollen.
Als Richard, Johns älterer Bruder, bald darauf im Sterben liegt, nimmt er John den Schwur ab, sich für den Tod des Vaters zu rächen und alles daran zu setzen, die Familienehre wiederherzustellen und die entzogenen Besitztümer zurück zu erhalten.
Wird John es schaffen, diesen Schwur zu erfüllen?

Meine Meinung
In Der Herr der Bogenschützen beschäftigt sich Mac P. Lorne mit John Holland, der, obwohl er Neffe zweier Könige ist, in vielen Romanen über den Hundertjährigen Krieg eher als Randfigur erscheint. Entsprechend war mein Interesse groß, mehr über diesen Mann zu erfahren, der alles verloren hat und sich von unten hoch arbeiten musste.
Über die Jugendjahre John Hollands ist so gut wie nichts bekannt, so dass Mac P. Lorne sich hier die Freiheit nimmt, John und seine Brüder wirklich nach ganz unten zu stoßen. Ich bezweifle, dass dies so hätte geschehen können, schließlich handelt es sich hier um die Söhne eines der höchsten Adligen des Landes, aber so wird natürlich der Aufstieg umso herausragender.
John ist schon ein erstaunlicher junger Mann. Obwohl so stark gedemütigt, lässt er sich nicht unterkriegen. Er lernt Lesen und Schreiben, durch seine Arbeit in der Ziegelei erlangt er eine große Kraft, doch seine Leidenschaft ist das Bogenschießen. Er ist edel, wie es sein gebürtiger Stand verlangt, aber er achtet auch das niedere Volk, er denkt in großen Dimensionen und hat in vielen Situationen doch sehr viel Glück. Er wird hier als Romanheld dargestellt, der Sympathien erweckt, dadurch aber leider doch ein wenig zu unglaubwürdig daher kommt.
Eine zweite wichtige Person ist Jehanne Darc, die später als Jeanne D’Arc oder als Jungfrau von Orléans große Berühmtheit erlangen wird. In meist recht kurzen Kapiteln erfahren wir, oft in Gesprächen über sie, dass sie schon in jungen Jahren sehr fromm, ja geradezu fanatisch ist und von ihrer Mutter und dem Dorfpfarrer im Glauben bestärkt wird. Auch ihre Stimmen, die sie letzten Endes in den Kampf treiben, gehören mit dazu, und auch wenn versucht wird, ihre Visionen zu erklären, so kommt Jehanne doch nicht besonders gut dabei weg, ihre Darstellung ist doch eher negativ zu sehen.
Die Geschichte selbst bietet jemandem, der schon den einen oder anderen Roman über den Hundertjährigen Krieg gelesen hat, wenig Neues, denn die Eckpunkte sind bekannt. Jedoch schafft es Mac P. Lorne, Johns Geschichte so fesselnd zu erzählen, dass ich gespannt war, was er als nächstes erleben wird.
Die Recherche Lornes ist ausgezeichnet, das Leben zu dieser Zeit wird lebhaft und authentisch dargestellt, soweit ich das beurteilen kann. Leider gibt es hier auch einen kleinen Wermutstropfen, denn viele Informationen werden nicht einfach so nebenbei vermittelt, sondern in Informationsblöcken, die sich für mich nicht homogen eingebunden, sondern wie Fremdkörper anfühlten. Und gelegentlich sind diese Informationen noch nicht einmal relevant, beispielsweise wenn es über mehrere Absätze um die Geschichte der Abtei Fontevrault geht.
Ein weiterer Aspekt, der mir in diesem Roman leider nicht gefallen hat, sind die Sexszenen. Egal ob einvernehmlich oder nicht, für mich waren sie weder romantisch noch erschreckend, je nach Zusammenhang, sondern einfach unpassend und aufgesetzt. Hier wäre weniger definitiv mehr gewesen.
Ein Erzählkniff, den der Autor gerne anwendet, ist, in der Zeit vorzugreifen und anzudeuten, dass demnächst etwas geschehen wird. Dies soll wohl die Spannung erhöhen. Sparsam angewendet ist dies auch tatsächlich der Fall, hier kommt es jedoch so häufig vor, dass es nicht nur auffällig ist, sondern mich ab einem bestimmten Punkt nur noch genervt hat.
Neben historischen Nachbemerkungen findet man in dem Buch noch eine Zeittafel, ein Personenregister sowie eine Karte Englands und Frankreichs, die eine grobe Orientierung ermöglicht.

Fazit
„Der Herr der Bogenschützen“ ist eigentlich ein spannender Roman über eine interessante Person, leider haben stilistische Entscheidungen meine Lesespaß doch sehr getrübt und sind am Ende stärker in Erinnerung geblieben als der Inhalt. Wer darüber hinwegsehen kann, wird viel Freude mit dem Buch haben.

Heidi Rehn – Tanz des Vergessens

Autor Heidi Rehn
Titel Tanz des Vergessens
Seitenzahl 557
Verlag Knaur
ISBN 978-3-426-51591-4
Bewertung

Inhalt
München, Frühjahr 1919: Der Krieg ist vorbei, doch nach dem Scheitern der Räterepublik ist in München immer noch keine Ruhe eingekehrt. Als im Mai die Schüsse aufhören, schickt die junge Täschnerin Lou ihren Verlobten Curd los, dringend benötigte Nahrungsmittel zu organisieren. Doch unterwegs trifft ihn eine verirrte Kugel und er verstirbt noch vor Ort.
Auf sich allein gestellt versucht Lou, die sich die Schuld an Curds Tod gibt, den Krieg und das Leid zu vergessen, indem sie sich ins wilde Nachtleben stürzt, wo sie den verheirateten und wesentlich älteren Ernst kennenlernt. Wie lange kann eine solche Beziehung gutgehen?

Meine Meinung
Tanz des Vergessens beschreibt die Zeit nach dem ersten Weltkrieg bis in die Mitte der 1920er Jahre, eine Zeit, in der die junge Generation, die sich an die Zeit vor dem Krieg kaum noch erinnern kann, eigentlich nur das Leben genießen will, die aber geprägt ist von hohen Reparationszahlungen und Inflation, ersten Judenverfolgungen und Homophobie, und in der sich der junge Österreicher Adolf Hitler in hohen Münchner Kreisen einen Namen als hervorragender Redner macht.
Während Lou und ihre Freunde fiktiv sind, wird die Zeit, in der sie agieren, schon sehr authentisch geschildert. Insbesondere die Stadt München mit ihrem Lokalkolorit kommt hier nicht zu kurz. Zwar gibt es nicht allzu viele Charaktere, die richtig Bairisch reden – nur wenige Nebenpersonen bekommen diesen Dialekt in den Mund gelegt – doch immer wieder gibt es Begriffe wie Schandi oder Zamperl, die einen daran erinnern, wo wir uns befinden. Neben der Sprache sind es aber vor allem die Handlungsorte, oft Festhäuser und Theater, Cafés und Sportvereine, die Erwähnung finden. Da wird von den Vorzügen geredet, die ein Club vor den anderen hat, da wird von einem Lokal ins nächste gezogen, und das nicht nur ein Mal, sondern immer wieder. Für mich als jemand, der noch nicht oft in München war und sich auch nicht fürs Nachtleben interessiert, war das einfach zu viel, zudem hatte ich da Gefühl, dass sich alles wiederholt. Ich kann mir aber vorstellen, dass dies für jemanden, der sich in München auskennt und weiß, wo sich die erwähnten Gebäude befinden oder befunden haben, sehr interessant sein könnte. Gleiches gilt für einen späteren Abschnitt des Romans, der dann in einer anderen Stadt spielt.
Die bereits angesprochene politische Seite des Romans hat mich da schon wesentlich mehr interessiert. Es war faszinierend und bedrückend, hier zu erfahren, wie Hitler überhaupt Bekanntheit erlangt hat, dass er als Redner zu privaten Abendveranstaltungen gebucht wurde, und wie er gefeiert wurde, obwohl kaum jemand verstanden hat, was er eigentlich ausgesagt hat.
Auch die Anfänge der Judenverfolgung durch die Anhänger Hitlers wurden sehr anschaulich dargestellt. Es kümmert niemanden, wenn ein jüdischer Boxclub aufgemischt und von der NSDAP requiriert wird. Ebenso interessant ist es, zu lesen, wie jetzt schon, viele Jahre vor Machtergreifung der NSDAP, versucht wird, jüdische Wurzeln zu vertuschen oder andere einer jüdischen Herkunft zu bezichtigen.
Dies alles sind Themen, die mal hier, mal da gestreift oder auch ausführlich betrachtet werden. Im Zentrum der Geschichte allerdings steht Lou. Von ihrer österreichischen, jüdischen, lesbischen Freundin Judith wird Lou immer wieder als Tschapperl bezeichnet, als naiver, unbeholfener Mensch. Und genau so habe ich sie wahrgenommen. Zu Beginn des Romans ist Lou erst achtzehn Jahre alt, da darf man noch ein wenig naiv ins Leben blicken, aber selbst im späteren Verlauf ändert sie sich nicht. So oft hätte ich sie schütteln können, so oft wachrütteln wollen, wenn sie sich wieder von falschen Freunden hat verleiten lassen, etwas Dummes zu tun.
Lou gibt sich selbst die Schuld am Tod ihres Verlobten, weshalb sie sich in eine Beziehung mit einem verheirateten Mann stürzt. Ihm kann sie kaum Schaden zufügen. Die Entwicklung dieser Beziehung hat mir jedoch so gar nicht gefallen, für mich war sie doch sehr abwegig, auch wenn Heidi Rehn im Nachwort erklärt, dass es so einen Fall tatsächlich gegeben hat.
Doch auch auf eine richtige Liebesgeschichte muss man nicht verzichten. Diese deutet sich recht früh an, wird dann aber für einen Großteil des Romans völlig in den Hintergrund gedrängt. Erst gegen Ende wird sie sehr kurz und knapp wieder aufgegriffen. Hier hätte ich eigentlich nach den Andeutungen zu Beginn mehr erwartet.
Grundsätzlich sind alle Charaktere glaubwürdig gestaltet, ein Schwarz oder Weiß, Gut und Böse gibt es hier nicht, genauso wenig, wie es Antagonisten gibt, auch wenn einige Personen nicht unbedingt Lous Freunde sind. Dies hat mir gut gefallen, da dies wie aus dem echten Leben gegriffen erscheint.
Neben dem erwähnten Nachwort gibt es auch ein Glossar, in dem überwiegend mundartliche Begriffe erklärt sowie Orte und Personen näher beschrieben werden. Gerne hätte auch eine Karte Münchens enthalten sein können, um ortsfremden Lesern die Gelegenheit zu geben, sich ein wenig zu orientieren, wenn doch diese Orte eine so wichtige Rolle spielen.

Fazit
Auch wenn der Hintergrund des Romans sehr spannend ist, kann mich Lous Geschichte nicht mitreißen. Das Nachtleben wird mir zu ausführlich dargestellt, während Lou mir zu naiv und zu passiv ist. „Tanz des Vergessens“ ist sicher kein schlechter Roman, aber für mich einfach nicht der richtige.